von Bruno Andreas Walther, Institut für Botanik an der HHU
Das Bürgerwissenschaftsprojekt PUKI lädt interessierte Bürgerinnen und Bürger ein, nach fünf unscheinbaren, aber höchst interessanten Pflanzenarten Ausschau zu halten!
Vor zwei Jahren stellten wir in diesem Blog einen Megastar der Pflanzenwissenschaften vor: die Ackerschmalwand (Arabidopsis thaliana)1. Aber ein Star ist ungern allein: mittlerweile haben sich vier weitere Stars der Pflanzenforschung dazugesellt.
Wir haben unser Bürgerwissenschaftsprojekt PUKI getauft: das steht für Pflanze • Umwelt • Klima • Interaktion. Bei PUKI können sich Interessierte als Bürgerwissenschaftler*innen beteiligen, um die Anpassungen der Pflanzen an eine sich schnell verändernde Umwelt mit zu erforschen. Wir alle kennen die Schlagworte: Klimakrise, Verstädterung, Bodenverschmutzung, usw. Was hinter allem dem steckt, ist die durch den Menschen sich immer schneller verändernde Umwelt2.
Pflanzen sind die Grundlage eines jeden Ökosystems. Darum ist es essentiell wichtig, zu verstehen, wie sich Pflanzen an diese teilweise dramatischen Veränderungen anpassen können. Darum auch das I für Interaktion in PUKI: Wie wirkt sich die Veränderung der Umwelt auf die Pflanzen aus? Und wie verändern die Pflanzen wiederum ihre Umwelt?
Obwohl es die Buchen, Eichen und Fichten sind, die in deutschen Wäldern wegen der Klimakrise massenhaft sterben3, ist es natürlich nicht möglich, Laborforschung an Bäumen zu praktizieren, denn dann man müsste ja erst einmal ein paar Jahrzehnte auf die Ergebnisse warten. Darum sucht die Forschung oft Modelle aus, die sich einfach im Labor handhaben lassen: die Laborratte für Körperfunktionen, zum Beispiel, oder die Fruchtfliege für die Genetik. Und bei der Pflanzenforschung ist es eben oft die Ackerschmalwand, weil sie zahlreiche Vorteile hat: Sie ist klein, wächst sehr schnell, ist genügsam, und eignet sich wegen dem relativ kleinen Genom (dem Erbgut) gut zum Experimentieren.
Ihr könnt selbst einmal ein Experiment machen: Gebt einfach „Arabidopsis thaliana“ bei Google Scholar4 ein und drückt die Enter-Taste. Das Ergebnis sind „about 979.000 results“ [ungefähr 979.000 Treffer] – das heißt, es gibt mittlerweile fast eine Million wissenschaftliche Arbeiten, die sich irgendwie auf die Ackerschmalwand beziehen! Wenn man eine dieser Arbeiten pro Tag lesen würde, würde es 2740 Jahre lang dauern, um alle Arbeiten zu lesen. Mittlerweile sind unsere wissenschaftlichen Kenntnisse so unfassbar umfangreich, dass kein Mensch auch nur noch einen Bruchteil davon erfassen kann. Das macht es leider oft so schwer, Wissenschaft überhaupt noch an die Bürger*innen zu vermitteln.
Mit PUKI wollen wir es aber trotzdem versuchen: Auf unserer Webseite finden sich schon zahlreiche Informationen zu den Pflanzen und zu den Forschungen, die unser Projekt verfolgt (www.puki.hhu.de). Schaut gerne mal rein!
Womit wir zurück zu dem P für Pflanzen kommen: Denn wir haben, wie gesagt, vier weitere Megastars dazugewonnen, die wir euch hier kurz vorstellen wollen, nämlich das Viermännige Schaumkraut (Cardamine hirsuta), das Gewöhnliche Hirtentäschelkraut (Capsella bursa-pastoris), der Schmalblättrige Doppelsame (Diplotaxis tenuifolia) und der Rübsen (Brassica rapa) (Abbildung 1). Alle diese Pflanzenarten gehören der Familie der Kreuzblütler (Brassicaceae) an und sind sogenannte „Pionierpflanzen“, die gestörte Böden aufgrund ihres sehr kurzen Lebenszyklus schnell besiedeln können. Dieses schnelle Wachstum macht sie ja auch für die Forschung so geeignet.
Abbildung 1: Die fünf Pflanzenarten, die beim PUKI-Bürgerwissenschaftsprojekt untersucht werden (von links nach rechts: Ackerschmalwand, Viermänniges Schaumkraut, Gewöhnliches Hirtentäschel, Schmalblättriger Doppelsame, Rübsen). Bürger:innen können mitforschen, indem sie die Pflanzen finden, vermessen, und kleine Proben entnehmen (Fotos von B. A. Walther, T. Blank, E. Hamann).
Aufgrund ihrer Anspruchslosigkeit findet man alle fünf Arten in fast ganz Deutschland und in vielen Habitaten, insbesondere auch in Städten. So fanden wir zum Beispiel drei der Arten innerhalb von wenigen Metern zusammen auf einem Bürgersteig sowohl in Mönchengladbach als auch in Düsseldorf (Abbildung 2). Und weil sie wegen ihrer Häufigkeit weder bedroht noch geschützt sind, sind sie ideale Pflanzen für die Bürgerwissenschaft, denn Bürger*innen können Pflanzenproben entnehmen, ohne damit irgendeinen Schaden anzurichten oder ein Gesetz zu brechen.
Abbildung 2: Die Zielpflanzen wachsen oft in den Ritzen zwischen Pflastersteinen: hier die Ackerschmalwand (1), das Viermännige Schaumkraut (2) und das Gewöhnliche Hirtentäschelkraut (3) innerhalb von wenigen Metern zusammen (Himmelgeist, 21. April 2023; Foto von B. A. Walther). Nahaufnahmen einiger Pflanzen sind auf Abbildung 3 zu sehen.
Stellen wir euch also zuerst das Viermännige Schaumkraut vor. Es hat bei Google Scholar nur 16.900 Treffer, was aber immer noch eine erstaunlich große Menge an wissenschaftlicher Literatur ist. Der Ackerschmalwand am ähnlichsten, unterscheidet es sich am meisten durch die gefiederten Blätter und die Stellung und Färbung seiner Schoten (Abbildung 3). Diese Schoten sind übrigens etwas Besonderes: die reifen Schoten „explodieren“ regelrecht bei Berührung und schleudern dadurch die Samen über weite Distanzen. Dieser Mechanismus wird intensiv untersucht, um biomechanische Prinzipien zu verstehen. Das Viermännige Schaumkraut weist eine hohe genetische Vielfalt auf, insbesondere in Bezug auf seine unterschiedlichen Blattformen im Lebenszyklus. Diese Eigenschaft wird in unserer Forschungsgruppe5 genutzt, um die genetischen Mechanismen der Blattentwicklung als Reaktion auf Temperaturunterschiede zu entschlüsseln.
Abbildung 3: Obwohl sich die Ackerschmalwand (1), das Viermännige Schaumkraut (2) und das Gewöhnliche Hirtentäschelkraut (3) ähneln, sind beim genaueren Hinschauen doch erhebliche Unterschiede zu erkennen, die die Artbestimmung erleichtern (siehe die Bestimmungshilfen auf unserer Webseite6; Fotos von B. A. Walther).
Das Gewöhnliche Hirtentäschelkraut bekam seinen eigentümlichen Namen, weil die kurzen Schoten (genannt Schötchen) wie die Taschen früherer Hirten geformt sind. Deren Form ist auch eines der besten Bestimmungsmerkmale. Es ist ebenfalls eine faszinierende Pflanze mit zahlreichen wissenschaftlich interessanten Eigenschaften, und hat dementsprechend 28.800 Treffer bei Google Scholar. So wird es als Modellpflanze für genetische Vielfalt und Anpassungsfähigkeit an verschiedene Umwelten benutzt, weil es eine der am weitesten verbreiteten Pflanzen der Welt ist, welche in nahezu allen Klimazonen, außer in extrem kalten oder trockenen Gebieten, vorkommt. Obendrein blüht es das ganze Jahr, was seine extreme Anpassungsfähigkeit weiter unter Beweis stellt. In den letzten Jahren hat die Forschung einen der möglichen Mechanismen für diese Anpassungsfähigkeit aufgezeigt. Sicher kennen viele den Sonnentau, der sich in unseren Mooren auch durch das Fangen von Insekten ernährt. Experimente zeigten, dass im Boden lebende Fadenwürmer sich von den Samen des Hirtentäschelkrautes angezogen fühlten, dann aber durch die Berührung getötet wurden7. Die durch die Zersetzung der Würmer freiwerdenden Nährstoffe erhöhten die Keimungsraten der Samen und die Entwicklung der Pflanze, insbesondere in nährstoffarmen Böden. Das Hirtentäschelkraut ist also wie der Sonnentau eine fleischfressende Pflanze!
Der Schmalblättrige Doppelsame und der Rübsen (siehe unten) haben gelbe Blüten im Gegensatz zu den weißen Blüten der anderen drei Arten (Abbildung 4). Ein weiteres, gutes Erkennungsmerkmal sind die markant geformten Blätter, die viele Menschen aus dem Supermarkt kennen: nämlich als Rucola-Salat8. Der Doppelsame ist eine beliebte Salat- und Gewürzpflanze, weil er ein charakteristisches, scharf-würziges Aroma hat, das durch Senfölglykoside entsteht, und weil er reich an Antioxidantien, Vitaminen (vor allem Vitamin C und K), Mineralstoffen (wie Kalzium und Kalium) und sekundären Pflanzenstoffen ist. Bei Google Scholar hat er nur 8.600 Treffer, aber der Doppelsame ist z.B. eine Modellpflanze für Studien zur Stressphysiologie von Pflanzen, weil er eine hohe Widerstandsfähigkeit gegenüber salzigen Böden, Trockenheit und Schadstoffen hat. Darum wächst er auch prima entlang von Autobahnen, wo viel Salz gestreut wird und viele Schwermetalle den Boden belasten. Als aus dem Mittelmeerraum stammende Pflanze ist er hervorragend an trockene, karge Böden angepasst, denn die tiefreichende Pfahlwurzel ermöglicht es, auch bei Trockenheit Wasser und Nährstoffe aufzunehmen. Und was zum mediterranen Charakter passt: Er braucht viel Sonne!
Abbildung 4: Der Schmalblättrige Doppelsame wächst gerne in Pflasterritzen, aber auch in zahlreichen anderen Habitaten (siehe Beispiele auf unserer Webseite9; Fotos von B. A. Walther).
Der Rübsen hat bei Google Scholar 213.000 Treffer, weil er eine landwirtschaftlich bedeutende und eine der ältesten domestizierten Pflanzenarten ist, die seit der Jungsteinzeit vor 4000 Jahren kultiviert wurde10. Aus der natürlich vorkommenden Pflanze wurden zahlreiche Unterarten gezüchtet, die als Öl-, Gemüse- und Futterpflanzen angebaut werden, zum Beispiel Speiserüben, Chinakohl und japanischer Senfspinat (siehe Wikipedia für weitere Beispiele). Der Rübsen ist außerdem eng verwandt mit anderen wirtschaftlich wichtigen Pflanzen wie Kohl (Brassica oleracea), Raps (Brassica napus) und Senf (Brassica juncea). Darum dient er als Modell für genetische Studien innerhalb der Brassica-Gattung, insbesondere zur Evolution und Domestikation. Der Rübsen hat die Fähigkeit, Schwermetalle wie Arsen, Blei und Cadmium aus belasteten Böden aufzunehmen und kann deswegen gepflanzt werden, um kontaminierte Böden zu reinigen11. Wie der Doppelsame zeigt auch der Rübsen eine bemerkenswerte Toleranz gegenüber Umweltstressoren wie Kälte, Salz und Trockenheit. Diese Eigenschaften werden intensiv untersucht, um Erkenntnisse für die Züchtung widerstandsfähiger Nutzpflanzen zu gewinnen. Zum Beispiel untersucht Professorin Elena Hamann aus unserer Forschungsgruppe5, wie der Rübsen sich an Niederschlagsschwankungen und schwere Trockenheit anpassen kann12.
Alle fünf sind also ganz faszinierende Pflanzenarten, und um den Rahmen nicht zu sprengen, erwähne ich hier nur kurz, dass diese Arten auch noch zahlreiche medizinische Anwendungen haben, die teilweise bis ins Mittelalter und die Antike zurückreichen13.
Und warum ist die Forschung an diesen fünf Pflanzenarten so wichtig? Weil Pflanzen mit immer größeren Umweltveränderungen zu kämpfen haben, müssen wir verstehen, wie sie sich anpassen können (oder auch nicht). Das ist einerseits Grundlagenforschung, also ein besseres Verständnis darüber, wie Pflanzen und Ökosysteme mit extremen Bedingungen umgehen. Andererseits wird es aber auch praktische Anwendungen geben, zum Beispiel in der Land- und Forstwirtschaft, bei Naturschutz- und Renaturierungsprojekten, und beim Anlegen von grünen Städten. Welche Baumarten können die verschwindenden Buchen, Eichen und Fichten ersetzen? Was für Eigenschaften brauchen Kulturpflanzen, um mit höheren Temperaturen, weniger Wasser und längerer Dürre klarzukommen? Und wie könnt ihr euch nun bei unserer Forschung beteiligen? Alles ist im Detail auf unserer Webseite erklärt, aber hier ist das Wesentliche kurz zusammengefasst. Wir arbeiten mit der App Flora Incognita (https://floraincognita.com/). Diese App ermöglicht es euch, fast alle Pflanzenarten in Deutschland sehr schnell und sicher zu bestimmen (Abbildung 5).
Abbildung 5: Mit Flora Incognita lassen sich fast alle Pflanzenarten in Deutschland schnell und sicher zu bestimmen (Foto von B. A. Walther, Screenshot von Flora Incognita mit freundlicher Erlaubnis von P. Mäder).
Natürlich macht es Spaß, die Pflanzen auch ohne technische Hilfe zu erkennen6, aber in Kombination mit Flora Incognita habt ihr noch zusätzliche Informationen und Tipps. Auf Flora Incognita könnt ihr dann eine Zusatzfunktion14 öffnen, mit der ihr Daten über die von euch gefundenen Pflanzen eingeben könnt, z.B. die Länge der Pflanze, die Anzahl der Schoten, das Habitat und den Lichteinfall. Diese Daten helfen uns, die Anpassungen der Pflanze an den jeweiligen Standort besser zu verstehen. Wenn ihr dann noch zusätzlich eine Pflanzen- und Bodenprobe sammelt und einschickt (Abbildung 6), dann können wir genetische Untersuchungen und Bodenanalysen machen, die sehr viele interessante und relevante Daten generieren. So trägt eure Beteiligung direkt zur wichtigen Forschung über Pflanzenanpassungen an eine sich schnell verändernde Umwelt bei!
Abbildung 6: Links wird die Länge von einem Hirtentäschel gemessen, und rechts wird eine Pflanzenprobe der Ackerschmalwand eingetütet (Fotos von B. A. Walther).
Außerdem könnt ihr mithelfen, indem ihr unsere Datenprotokolle kommentiert und verbessert, weitere Teilnehmer*innen anwerbt, Sammlungen organisiert und leitet, oder bei der Öffentlichkeits- und Bildungsarbeit helft. Alle Fragen und Vorschläge bitte schicken an: Bruno Walther, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, Gebäude 26.14, Raum 01.067, Universitätsstr. 1, 40225 Düsseldorf, Tel: 0211-81-13427, Email: Bruno.Walther@hhu.de
Weitere Informationen finden sich hier:
2https://www.ardalpha.de/wissen/umwelt/nachhaltigkeit/anthropozaen-erdzeitalter-geologie-mensch-100.html, https://docupedia.de/zg/Tanner_anthropozaen_v1_de_2022
3https://www.forstpraxis.de/klimaszenarien-im-buchenwald-duestere-prognosen-sind-wahrscheinlich-23416, https://www.deutschlandfunkkultur.de/folgen-des-klimawandels-fichte-ohne-zukunft-100.html
6https://www.puki.hhu.de/fileadmin/redaktion/Fakultaeten/Mathematisch-Naturwissenschaftliche_Fakultaet/Biologie/puki/Artbestimmung_Kurzversion.pdf, https://www.puki.hhu.de/fileadmin/redaktion/Fakultaeten/Mathematisch-Naturwissenschaftliche_Fakultaet/Biologie/puki/Artbestimmung_Langversion.pdf
7https://www.nature.com/articles/s41598-018-28564-x.pdf
8Als Rucola-Salat werden zumeist zwei Pflanzenarten verkauft: meistens der Schmalblättrige Doppelsame oder die Garten-Senfrauke (Eruca vesicaria subsp. sativa). Manchmal kann es sich auch um den Mauer-Doppelsamen (Diplotaxis muralis) handeln (https://de.wikipedia.org/wiki/Rucola). Im Vergleich zur Garten-Senfrauke hat der Doppelsame schmalere Blätter und ein intensiveres Aroma, was von Liebhabern von würzigen Aromen bevorzugt wird.
10https://www.yumda.com/de/news/1171363/moegen-sie-ihr-gruenzeug-nicht.html, https://doi.org/10.1093/molbev/msab108
11https://doi.org/10.1016/j.ecoenv.2019.109961
12https://now.fordham.edu/science/plants-adapt-to-climate-change-but-theres-a-catch/, https://doi.org/10.1111/evo.13631, https://doi.org/10.1111/evo.14413
13https://de.wikipedia.org/wiki/Gew%C3%B6hnliches_Hirtent%C3%A4schel
Englische Version des Textes: https://www.puki.hhu.de/fileadmin/redaktion/Fakultaeten/Mathematisch-Naturwissenschaftliche_Fakultaet/Biologie/puki/Now_it_s_the_Jackson_5.pdf