von Viktor Burgi
Es ist ein Freitagnachmittag im Dezember 2019, als wir das erste Mal die Aktivist*innen der Düsseldorfer „Fridays for Future“-Bewegung treffen. Wir warten in der Kälte vor dem Jugendkulturcafé Franzmann in der Düsseldorfer Innenstadt, während drinnen das Plenum der Ortsgruppe begonnen hat.
„Wissen wir, was wir sagen wollen? Laura und Viviana stellen das Projekt vor, oder?“ – „Ja, genau.“ – „Okay, dann rein.“
Im Café ist es wohlig warm. Etwa zwei Dutzend Personen zwischen 15 und 25 Jahren sitzen in einem Kreis und diskutieren miteinander. Es ist die Düsseldorfer Ortsgruppe von Fridays for Future. Für die Aktivist*innen geht ein anstrengendes Jahr zu Ende. Nachdem die Bewegung im Frühling 2019 immer größere Aufmerksamkeit erregte, sahen die Aktivist*innen sich auch starker Kritik ausgesetzt. Mit zunehmender Dauer der Bewegung kam in der Politik aber niemand mehr am Thema Klimaschutz vorbei. Doch nachdem sie das ganze Jahr freitags auf die Straße gegangen sind, reden Ende 2019 Teile der Bewegung von einer Erschöpfung. Wie es 2020 weitergeht, ist ungewiss.
In dieser Gesamtsituation treffen wir die Aktivist*innen und erläutern ihnen unser Forschungsprojekt, das bis Mitte 2021 dauern soll. Sie sollen als Mitforschende in einem Citizen-Science-Projekt dabei helfen, ihre eigene Bewegung zu erforschen. Die Bereitschaft, sich als Citizen Scientists zu beteiligen und über 18 Monaten an dem Projekt teilzunehmen, ist groß.
Heute, über 18 Monate später, ist das Forschungsprojekt beendet. Nur durch das große Engagement der Mitforschenden von Fridays for Future konnten wir über 500 Personen quantitativ befragen, 13 qualitative Interviews führen und 7 Beobachtungen von FFF-Ortsgruppen und Konferenzen durchführen.
Doch was genau haben wir untersucht? Und wie haben wir das gemacht?
Erhebungsphase im Citizen-Science-Projekt: Wie forscht die Politikwissenschaft?
Wir haben die Mitforschenden von Anfang an in alle Erhebungsschritte mit einbezogen. Im Sommer einigten wir uns mit ihnen als erstes auf eine Forschungsfrage: Wie laufen Entscheidungsprozesse innerhalb von Fridays for Future ab? Danach ging es um die Methoden, mit denen wir diese Forschungsfrage untersuchen könnten. Die Antwort lag nicht auf der Hand, denn alle Erhebungsmethoden haben Vor- und Nachteile. Wir haben uns dann für ein sogenanntes Mixed-Methods-Design entschieden, um die Entscheidungsprozesse innerhalb von FFF zu untersuchen. Das heißt, wir wenden eine Kombination verschiedener Verfahren an: Befragungen, Beobachtungen und Interviews. Dies ist aufwendiger, als nur eine Methode zu benutzen – aber es ist auch besser: Denn die einzelnen Verfahren haben jeweils Vor- und Nachteile, die sich gegenseitig ausgleichen können.
Mit Online-Befragungen erreicht man zum Beispiel mehrere hundert oder tausend Personen. Und eine große Stichprobe ist besser als eine kleine, weil sie aussagekräftiger ist. Bei einem zehnminütigen Fragebogen kann man aber nicht sehr in die Tiefe gehen. Und es ist schwerer, Motive und Gründe für die Einstellungen oder Handlungen von Personen zu untersuchen. Manchmal würden wir in den Sozialwissenschaften gerne den Teilnehmenden über die Schulter schauen und sagen: „Stopp! Warum haben Sie A angekreuzt und nicht B? Und was ist mit C?“. Oder im Nachhinein hätte man zu einem bestimmten Punkt gerne noch mehr erfahren. Aber ist die Umfrage einmal im Feld, kann man nichts mehr verändern.
Die Möglichkeit, tiefgehender zu erheben, ergibt sich bei qualitativen Interviews und Beobachtungen. Mit einem zuvor konzipierten Beobachtungsbogen haben die Mitforschenden und wir Treffen von Ortsgruppen und der wöchentlichen Delegierten-Telefonkonferenz beobachtet. Da sind wir jedoch nur neutrale Beobachter:innen und stellen keine Zwischenfragen. Das ist ein klarer Vorteil eines qualitativen Interviews. Hier können wir nachfragen. Aber diese Interviews haben bei uns ebenso wie die Beobachtungen zwischen 30 und 90 Minuten gedauert, sind also mit hohem Zeitaufwand verbunden. Daher liegt die Zahl der Beobachtungen bei 7 und die der interviewten Personen bei 13.
Zum Vergleich: In der fünfwöchigen Feldphase der Umfrage haben wir 507 Personen erreicht, die unsere Umfrage abgeschlossen haben. Aber wie haben wir diese Umfrage konzipiert? Aus den qualitativen Interviews haben wir Kategorien und wichtige Punkte ermittelt, die wir abfragen mussten, um die Ergebnisse aus den wenigen Interviews auf die Bewegung verallgemeinern zu können. Wir wollten unter anderem herausfinden, welche Faktoren und Eigenschaften es wahrscheinlicher machen, dass es zu bestimmten Entscheidungen kommt und zu anderen nicht. Daraus haben wir Fragen für den Fragebogen entwickelt und die Umfrage konnte beginnen. Jetzt mussten wir den Link nur noch an möglichst viele Personen schicken.
Im Sommer 2020 hatten wir bereits eine Online-Erhebung unter FFF-Aktivist:innen durchgeführt, diese später bei einer wissenschaftlichen Konferenz vorgestellt und dann publiziert. Damals haben wir eine vorgeschriebene Whatsapp-Nachricht an möglichst viele Admins von Whatsapp-Gruppen von FFF geschickt und diese gebeten, die Nachricht weiterzuleiten. Das war recht aufwändig: Meistens antworteten die Admins nicht, und wenn sie antworteten, hatten sie wenig Lust, die Nachricht einer fremden Person in die eigene Gruppe zu posten. Daher mussten wir sehr viele Ortsgruppen bzw. Personen anschreiben. Parallel haben wir E-Mails an alle Arbeitsgruppen von FFF geschickt. Per Mail kam eine einzige (!) Antwort mehrere Monate später.
Diese Bemühungen haben sich also nicht sehr gelohnt im vergangenen Jahr. Sehr hilfreich war dagegen, dass die Mitforschenden der OG Düsseldorf die Nachricht auch verbreitet haben. Immer wenn sie den Link zu unserer Umfrage in ihre Gruppen, etwa die bundesweite Delegiertengruppe, geschickt haben, konnten wir sehen, wie unsere Teilnahmezahlen gestiegen sind. Nach vier Wochen hatten wir 103 Personen erreicht.
Eine Umfrage mit Meme-Charakter
Die Erfahrungen aus 2020 waren in diesem Sommer 2021 für die große Erhebung aber von Vorteil. Wir haben daraus Lehren gezogen und konnten zielgerichteter und effektiver arbeiten: Wir haben aus der Liste der über 650 Messenger-Gruppen von FFF aus ganz Deutschland zufällig 500 gezogen. Das war unsere Stichprobe. Diese 500 Gruppen haben wir dann über Whatsapp und Telegram angeschrieben und die Admins gebeten, den Link zur Umfrage in ihre Gruppe weiterzuleiten. (Meistens können nur Admins in den Gruppen schreiben, nicht die normalen Mitglieder.) Dabei haben uns die Mitforschenden auch durch eigene Nachrichten geholfen.
Nach etwa drei Wochen haben wir dann schon fast Meme-Charakter entwickelt:
Natürlich wollten wir niemandem auf die Nerven gehen. Aber es war insofern ein positives Zeichen, als dass es zeigt, dass wir viele bei FFF erreicht haben. Und es hat sich gelohnt: Wir haben 507 Teilnehmer:innen bei unserer Umfrage gezählt. Diesen Datensatz werten wir in den kommenden Monaten für eine Publikation über Entscheidungsprozesse bei FFF aus. Mit finalen Ergebnissen rechnen wir also erst 2022.
Auch wenn es lang erscheinen mag: Im wissenschaftlichen Arbeiten sind das völlig normale Zeiträume. Aber das bedeutet nicht, dass wir noch nichts zu berichten hätten: Ein paar vorläufige Ergebnisse haben wir bereits bei unserem Abschlussevent vorgestellt. Sie gliedern sich in die Kategorien Basisdemokratie, informelle Hierarchien und personenbezogene Faktoren. Gemeinsam mit unseren Mitforschenden arbeiten wir gerade an einer Darstellung dieser Ergebnisse. Wir werden sie im August hier auf diesem Blog und bei Instagram veröffentlichen.