von Mara Betjemann, Isabel Rheims, Lina Gobbelé und Chiara Webers
Dass die Digitalisierung nicht nur neue Lebensformen mit sich bringt, sondern das ganze Leben formt, ist im Jahre 2021 nichts Neues. Trotzdem wird an alten Strukturen festgehalten, als dürfe sich die Welt nicht weiterdrehen. Ein Beispiel dafür ist der politische Prozess.
Veraltete Strukturen, Papierkriege und ein Parlament im Bundestag. Dabei bieten die sozialen Netzwerke auch andere Möglichkeiten, um die Partizipation und im weitesten Sinne das Parlament zu intensivieren und somit die Demokratie möglicherweise zu stärken.
Kann Demokratie noch besser funktionieren, jetzt da fast alle Menschen die Möglichkeit haben digital am Entscheidungsprozess teilzuhaben? Ist es eine Hürde oder eine Chance, die bewusst nicht genutzt wird?
Chancen einer digitalen Demokratie
Digital Natives also Menschen, die mit der digitalisierten Welt groß geworden sind, haben das Denken anders gelernt und eine ganz andere Auffassung von der Welt. Das Wissen der ganzen Menschheit steckt zwei Klicks entfernt in der Hosentasche und alle Freund:innen, egal wie fern, können innerhalb von Sekunden kontaktiert werden. Die Welt ist zusammengewachsen, Strukturen wurden vereinfacht. Es tippt sich nun mal schneller, als diesen Blogbeitrag mühsam per Hand zu schreiben und wir haben nicht mal im Geringsten daran gedacht diesen nun auf einen Block zu schreiben. Wir kennen es nicht anders. Wie kann es dann sein, dass in einer Welt, in der Online-Alternativen der Schlüssel zu fast allen Tätigkeiten sind, die politischen Strukturen immer noch die gleichen sind? Entscheidungen liegen bei gewählten Abgeordneten, die Wege von Gesetzesentwürfen sind langwierig und meist ineffizient. Dabei bietet das digitale Zeitalter drei Begriffe mit demokratischer Wichtigkeit: Vielfalt, Partizipation und Effizienz.
Stichwort Vielfalt. Tagtäglich trifft man im sogenannten world wide web auf tausende Fremde. Beiträge von Fremden, Artikel von Fremden und Kommentare von Fremden. Die Bevölkerung ist stark miteinander vernetzt. Gleichgesinnte können sich schneller denn je zusammenfinden und kooperieren. Fernab von Marktplätzen und Stammtischen. Vielfalt kann durch das Internet verstärkt und geschätzt werden. Mit der Vielfalt kann die Repräsentation von Minderheiten steigen.
Neben der Vielfalt steht die Partizipation. Nie war die aktive Beteiligung verschiedener Bürger:innen so einfach wie in der heutigen digitalisierten Welt. Online-Petitionen können unterschrieben werden, Wahlen können über Portale online stattfinden und die Transparenz wird einfacher (Livestreams, offene Dokumente zum Herunterladen…). Partizipation ist ein Grundpfeiler funktionierender Demokratie. Ohne Partizipation keine Wahlen. Ohne Wahlen keine Repräsentativität.
Aber diese Möglichkeiten der Online-Partizipation sind meist nicht nur einfacher, sondern häufig auch effizienter. Womit wir zum dritten Punkt kommen: Der Effizienz.
Hierbei muss das Schlagwort Liquid Democracy fallen. Im Kern bedeutet das, parlamentarische Entscheidungsfindung zu dezentralisieren und dynamischer zu gestalten. Wählerstimmen sind “flüssig” und können jederzeit an Expert:innen oder leidenschaftlich engagierte Personen gegeben oder widerrufen werden. Es macht eben jede:r nur noch das, was er oder sie auch wirklich kann.
Außerdem werden direktdemokratische Elemente durch die digitalen Möglichkeiten einfacher und kurbeln die Effizienz an. Mit einem Klick wird für oder gegen einen neuen Gesetzentwurf entschieden und ermöglicht die schnelle Einbindung von Bürger:innen.
Digitale Demokratie klingt plausibel, wenn man die digitalisierte Gesellschaft betrachtet.ber meist haben sich die digitalen Aspekte jenseits heißer Debatten auf Twitter und Social Media Accounts von NGOs und Abgeordneten nicht weiter etabliert. Warum aber bleiben die Strukturen im politischen Prozess die gleichen, obwohl die Welt sich verändert hat? Was spricht gegen die vielversprechende digitale Demokratie?
Wie viel Veränderung braucht Demokratie?
All diese Ideen zu einer direkten Beteiligung an Demokratie setzen voraus, dass alle Bürger:innen sich mit digitalen Möglichkeiten auskennen und sie nutzen können. Dass das nicht immer der Fall ist, kennt jede:r aus dem eigenen Leben, wir haben es auch in dieser Reihe schon thematisiert. Zwar nutzen immer mehr Menschen in Deutschland das Internet und digitale Werkzeuge. Aber es sind eben nicht alle. Und die, die das Angebot nutzen, tun das auf sehr unterschiedliche Art und Weise. Wie soll man freie und gleiche Wahlen ermöglichen, wenn nicht alle Menschen freien und gleichen Zugang zum digitalen Wahlbüro haben? Schafft man dann nicht eine direkte Demokratie wie im Antiken Griechenland, eine, aus der Bevölkerungsgruppen ausgeschlossen werden? Und was passiert überhaupt mit den Daten, die bei digitalen Abstimmungen gesammelt werden?
Sehr viel grundsätzlicher ist die Frage, ob es in Deutschland überhaupt ein Interesse an diesen digitalen Möglichkeiten gibt. Ein Beispiel ist die 2012 ins Leben gerufene Plattform LiquidFriesland. Die Software sollte eine stärkere Beteiligung von Bürger:innen in der Kommunalpolitik ermöglichen. Tatsächlich aber war das Interesse eher gering. Viele der 552 Registrierten waren schon zuvor politisch aktiv. Trotz Öffentlichkeitsarbeit konnten keine neuen Akteur:innen gewonnen werden. Die Plattform wird heute als Feedback-Funktion genutzt.Eine große Abhängigkeit von digitalen Plattformen zwecks Volksabstimmungen und Regierungsgeschäften birgt Risiken. Neben Hacking, (Wahl-)Betrug und Manipulation fällt darunter auch eine Gefährdung durch Polemisierung und Demagogen. Denn schließlich setzt so eine direkte Einbindung der Bevölkerung voraus, dass jede:r sich zu allen Themen eine Meinung bilden kann. Die Frage ist, ob man das erwarten kann und wie sich Echo Chambers und Filterblasen auf diese Meinungsbildungsprozesse auswirken. Echo Chambers meint, dass Menschen im Internet nur noch mit Menschen konfrontiert werden, die die eigene Meinung widerspiegeln und damit verstärken. Der Begriff der Filterblase beschreibt, wie die Algorithmen von Internetseiten Nutzer:innen nur noch mit Informationen konfrontieren, die dem eigenen Weltbild entsprechen. Zwar sind beide Theorien strittig, aber in Anbetracht dessen, welche Rolle digitale Angebote in einer digitalen Demokratie einnehmen würden, durchaus angebracht.
Und jetzt?
In Anbetracht des rasanten technologischen Fortschreitens ist die Digitalisierung der Demokratie nötig und der logische nächste Schritt.
Ein mögliches Ziel ist dabei, die Macht von den Parteien zurück an Bürger:innen zu geben. Politik lässt sich mittels digitalen Tools transparenter gestalten, sodass die Öffentlichkeit mehr zu politischen Prozessen beitragen kann. Dadurch würde Politikverdrossenheit gemindert, die Demokratie gestärkt und die Chancen der Digitalität genutzt werden.
Statt einer großen Umgestaltung der politischen Struktur, wäre es auch möglich bei der politischen Kultur anzusetzen. Digitale Möglichkeiten bieten vielerlei Chancen für eine moderne und attraktive Art der politischen Bildung.
In einer durch Digitalität geprägten Welt braucht es auch in der Politik neue Strukturen. Daher: mehr digitale Demokratie wagen!
Jetzt seid ihr dran: was spricht für die vielversprechende digitale Demokratie? Oder sind wir noch nicht bereit dafür? Diskutiert mit!
Quellen:
Eisel, Stephan: LiquidFriesland – ein gescheitertes Experiment. Bürgerbeteiligung von den Bürgern abgelehnt (22. Mai 2014), URL: https://www.kas.de/de/einzeltitel/-/content/liquidfriesland-ein-gescheitertes-experiment (zuletzt aufgerufen am 04. Dezember 2021).
https://liqd.net/de/ (zuletzt aufgerufen am 05.Dezember 2021, 14:00 Uhr)
Ulbricht, Lena: Demokratie und Digitalisierung. Ein Blick auf das politische System Deutschlands. https://www.bpb.de/lernen/digitale-bildung/politische-bildung-in-einer-digitalen-welt/324975/demokratie-und-digitalisierung-ein-blick-auf-das-politische-system-deutschlands (zuletzt aufgerufen am 05. Dezember 2021, 14:15 Uhr)