Workshop 1: Digitale Suffizienz in Kulturinstitutionen – Wie digitale Angebote nachhaltig gestaltet werden können

von Nienke Wüst

Digitalisierung und Nachhaltigkeit

Digitalisierung ist allgegenwärtig. Wie die Nachhaltigkeit zählt sie zu den aktuellen Megatrends, die unsere Lebensrealität beeinflussen. Wird über Digitalisierung gesprochen, steht häufig eine Forderung nach mehr Digitalität im Vordergrund und es wird betont, dass bei vielen Arbeitsprozessen hinsichtlich der Digitalisierung – gerade in Deutschland – noch enormer Nachholbedarf und Optimierungspotenzial besteht. Dies gilt auch für die Kulturbranche. Museen und andere Kulturbetriebe rüsten nach und nach digital auf: mit Tools und Apps, virtuellen Rundgängen, digitalen Sammlungen und weiteren Angeboten. Sie alle möchten zugänglicher, zeitgemäßer und inklusiver werden, um neue, vor allem jüngere, Zielgruppen zu gewinnen. Doch geht diese Strategie auf? Wie lassen sich wachsende technische Ambitionen mit einem Nachhaltigkeitsideal vereinbaren? Sind Digitalisierung und Nachhaltigkeit zwei Ziele, die miteinander konkurrieren oder die sich ergänzen? Diesen Fragen widmete sich der Workshop „Digitale Suffizienz in Kulturinstitutionen. Wie digitale Angebote nachhaltig gestaltet werden können.“ von Johannes Berger. Johannes ist Digital Curator und Produktmanager bei der Homo Ludens GmbH, einer Agentur für digitale Educational und Serious Games in der Kulturbranche.

Was bedeutet Suffizienz?

Anstatt zu versuchen die vorhandenen technischen Möglichkeiten maximal auszuschöpfen, bedeutet Suffizienz zu fragen „Was ist genug?“. Suffizienz kann eine wichtige Strategie auf dem Weg zu einer nachhaltigen Entwicklung sein. Im Rahmen der Digitalisierung spricht man von der Digitalen Suffizienz. Die aktuelle Forschung unterscheidet vier Handlungsfelder der Digitalen Suffizienz: die Techniksuffizienz, die Datensuffizienz, die Nutzungssuffizienz und die Ökonomische Suffizienz (vgl. Lange/Santarius 2018). Das übergeordnete Ziel dieser Handlungsfelder ist es, die Potenziale der Digitalisierung effizient zu nutzen, ohne dabei Ressourcen für nicht zwingend nötige Erweiterungen zu verschwenden. Nach einem kurzen theoretischen Input von Johannes durften die Workshopteilnehmenden selbst aktiv werden. In Kleingruppen wurde erarbeitet, wie diese Handlungsfelder praktisch in Kulturbetrieben umgesetzt werden und welche Herausforderungen dabei auftreten können.

© Nienke Wüst

Die vier Handlungsfelder der Digitalen Suffizienz in Kulturbetrieben

Im Fall der Techniksuffizienz soll auf eine bereits vorhandene Software ohne unnötige Funktionen zurückgegriffen werden, die eine breite Kompatibilität mit verschiedenen Endgeräten aufweist, idealerweise auch mit nachhaltigen Devices (z.B. Fairphone, ein Unternehmen, welches Elektronik unter fairen Bedingungen und mit nachhaltigen Materialien produziert). Oft besteht aber noch ein Intention-Behavior-Gap bei der Nutzung nachhaltig und fair produzierter Endgeräte, also eine Diskrepanz zwischen dem guten Vorsatz und der tatsächlichen Umsetzung, da es meist bequemer ist, die Geräte und Betriebssysteme konventioneller Anbieter zu nutzen.

Datensuffizienz bedeutet, dass die durch die Nutzung der Anwendung entstandenen Daten und Erkenntnisse in Form von OpenData oder OpenAccess für andere Zwecke sinnvoll weitergenutzt werden, solange dies im Einklang mit dem Datenschutz geschieht. Die Workshopteilnehmenden arbeiteten hier heraus, dass es wichtig ist, Art und Ausmaß der Datenverarbeitung transparent mit den Besucherinnen und Besuchern zu kommunizieren, z.B. über entsprechende schriftliche Hinweise oder Banner.

Die Nutzungssuffizienz meint die Beschränkung auf wesentliche Kernfunktionen in der Anwendung. In vielen digitalen Anwendungen werden beispielsweise gerne Spielmechanismen eingesetzt, die als extrinsische Motivatoren zur Nutzung dienen sollen. Eine solche Gamification kann zwar Anreize für die Nutzer*innen bieten, jedoch sollte im Vorfeld sorgfältig abgewägt werden, ob diese Funktionen auch wirklich einen inhaltlichen Mehr-Wert bieten oder ob dadurch einfach nur eine unnötige Mehr-Nutzung entsteht. Ein Beispiel für Nutzungssuffizienz in der Kulturbranche kann z.B. eine Museums-App sein, in der digitale Führungen angeboten werden, die nicht die komplette Sammlung abdecken, sondern an die individuellen Interessenschwerpunkte bzw. verfügbare Zeit der Besucherinnen und Besucher abgestimmt sind.

© Nienke Wüst

Zuletzt wird mit der ökonomischen Suffizienz die wirtschaftliche Komponente berücksichtigt. Hier unterscheidet man zwischen externer und interner Suffizienz. Um Kosten in der Entwicklung einer Anwendung zu sparen, kann auf Free and Open Source Software, sog. FLOSS, zurückgegriffen werden, deren Quellcode kostenfrei zur Verfügung steht (externe Suffizienz). Intern kann ökonomische Suffizienz durch einen institutionsübergreifenden Wissens- und Kompetenzaustausch (z.B. Fortbildungen, Leitfäden etc.) und der Abwägung, dass solche Elemente als Motivationsfaktoren mit dem Nachteil der eventuellen Mehrnutzung dienen können, realisiert werden. Wachstumsverzicht zugunsten einer nachhaltigen Entwicklung kann allerdings in Konflikt mit den aktuellen Strategien der Kulturpolitik und -förderung geraten, da auch nicht-gewinnorientierte Kultureinrichtungen immer öfter anhand ihrer Besucher*innenzahlen – und ob sie diese steigern können – gemessen werden.

Vor dem Start eines Projekts oder der Neuentwicklung eines digitalen Angebots sollte jede Kulturinstitution im Hinblick auf die Suffizienz unter anderem die Fragen beantworten, ob der digitale Raum der richtige Ort ist und ob ein tatsächlicher Mehrwert für Besucherinnen und Besucher entstehen kann. Suffizienz ist also ebenso wie Nachhaltigkeit nicht bloß eine Frage der Technik, sondern auch eine des Mindsets.

Zu Johannes Berger:
Johannes Berger ist Digital Curator und Produktmanager bei der Homo Ludens GmbH, einer Agentur für digitale Educational und Serious Games in der Kulturbranche – assoziiert mit dem gamelab.berlin von der Humboldt-Universität zu Berlin. 2022 absolvierte er seinen Master of Arts in Museumsmanagement und -kommunikation an der HTW Berlin. Zuvor studierte er Filmwissenschaft und Geschichte an der Freien Universität Berlin und schloss eine Ausbildung zum Mediengestalter für Bild & Ton ab. Seit 2020 ist er aktives Mitglied des ICOM Deutschland Young Professionals Netzwerkes.

Zur Autorin:
Nienke Wüst ist Studierende im Masterstudiengang Kunstvermittlung und Kulturmanagement an der HHU und bildet gemeinsam mit Melina Hartmann und Katharina Reher das Team Dokumentation, welches das Düsseldorfer Symposium zur Nachhaltigkeit in Kunst und Kultur inhaltlich nachbereitet.


[1] Der Quellcode ist der in einer Programmiersprache verfasste Text eines Computerprogramms.

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