von Christine Stender
Lang hat die Planung gedauert und dann ging es plötzlich ganz schnell – unsere Abschlussveranstaltung Kultur mit wem? Tischgespräche zu Kultur und Teilhabe zum Forschungsprojekt fand am 9. November 2023 im KAP1 in Düsseldorf statt.
© Medienlabor Heinrich-Heine-Universität
In den nächsten Blog-Beiträgen werden wir euch in die Vergangenheit, also zu den Tischgesprächen, mitnehmen und es werden ganz unterschiedliche Menschen ihre Rückschau auf die Veranstaltung mit euch teilen – sei es aus der Organisationsperspektive, aus Perspektive der Helfer*innen, Beitragenden oder Zuhörer*innen und Mitdiskutierenden.
Doch bevor der inhaltliche Rückblick startet, widmet sich dieser Beitrag erst einmal dem Titel der Veranstaltung und seiner Entstehungsgeschichte. Mit wem denken und machen wir Kultur? Und warum sollten es gerade Tischgespräche zu Kultur und Teilhabe sein?
Die Frage, wie wir Teilhabe-Gerechtigkeit erreichen können, ist eine Herausforderung in der Kultur, genauso wie in der Wissenschaft und an allen gesellschaftlichen Orten, an denen Menschen zusammenkommen. Wie können wir es schaffen, dass alle Menschen an einen Ort kommen können, sich dort gleich wohl fühlen und die gleichen Möglichkeiten haben können, den Ort und damit die Gesellschaft mitzugestalten und zu genießen?
© Medienlabor Heinrich-Heine-Universität
Wie können also alle Menschen an einem Tisch Platz finden, zusammensitzen und zum Beispiel über Kultur und Teilhabe sprechen? Diese Frage sollte nicht nur während der Veranstaltung selbst diskutiert werden, sondern war auch Grundgedanke während der Planung vorab. Und ein Bild hat mich in dieser Planung begleitet und dann auch den Titel geprägt: Und zwar gibt es ein wunderbares Buch von Aladin El-Mafaalani namens Das Integrationsparadox. Warum gelungene Integration zu mehr Konflikten führt (2018). In dem Buch beschreibt El-Mafaalani die Einwanderungsgesellschaft als einen Tisch, an dem immer mehr Menschen Platz nehmen können.
Und dieses Bild funktioniert auch für die Kultur: Wenn wir in der Geschichte zurückschauen, gab es immer bestimmte Gruppen, denen ein Platz am kulturellen Tisch sicher war. Königen und Adligen hat im Mittelalter und der frühen Neuzeit gleich der ganze Tisch gehört: Sie konnten sich aussuchen, welche Musik, welches Theaterstück oder welches Bild von wem produziert wurde. Alle anderen Menschen wurden da noch gar nicht mitgedacht, sie saßen am Boden oder am Katzentisch, wenn sie überhaupt im gleichen Raum sein durften. Und der Adel saß oben in seinem Elfenbeinturm.
Als dann das Bürgertum immer stärker und einflussreicher wurde, wollte es mit am Tisch sitzen und mitbestimmen. Bis dann irgendwann die Finanzierung von Kultur durch Steuern durch die gesamte Gesellschaft getragen wurde und auch heute noch getragen wird. Heute ist kulturelle Teilhabe ein Menschenrecht und alle Menschen sollen mit am Tisch sitzen und mitbestimmen. Es geht also nicht darum, dass jemand dankbar sein soll, dass er oder sie überhaupt am Tisch sitzen darf, sondern dass jeder ein Anrecht dazu hat gleichberechtigt mitzubestimmen, was auf und am kulturellen Tisch passiert.
© Medienlabor Heinrich-Heine-Universität
Und dadurch verändert sich die Besetzung am Tisch: Diejenigen, die schon immer am Tisch saßen, müssen einen Platz aufrücken oder sich einem neuen Gegenüber vorstellen. Und damit ist Veränderung auch unbequem, weil sie eben Auswirkungen auf diejenigen hat, die nun nicht mehr allein bestimmen können, was auf den Tisch kommt und Entscheidungsmacht abgeben müssen. Dann kann man nicht mehr nur die eigenen Lieblingsspeisen auf den Tisch stellen, sondern muss akzeptieren, wenn der/die Sitznachbarin einen anderen Geschmack hat.
Aber was soll auf den Tisch kommen? Woher kommen die Zutaten? Wer entscheidet das? Wer kocht das Essen, wer richtet es auf den Tellern an und dürfen diese Menschen auch mit am Tisch sitzen oder sind Entscheidungsträger*innen und Umsetzende voneinander getrennt? Muss ich sitzen oder kann ich auch im Stehen essen, wenn mir das besser zusagt? Muss es jeden Abend Kohlrouladen mit Speck geben oder kann es auch mal was anderes sein? Was ist überhaupt das Lieblingsessen oder die Lieblingskultur von Sitznachbarin und hab ich Lust, das auch mal auszuprobieren? Wenn ja, warum? Wenn nein, warum nicht?
Je besser Teilhabegerechtigkeit umgesetzt wird, desto mehr offene Fragen und neue Herausforderungen gibt es, die zu klären sind. Und diese Fragen betreffen nicht nur die Menschen, die neu am Tisch Platz nehmen, sondern alle, die in der Kultur zusammenfinden. Und wenn wir diese Fragen gemeinsam beantworten und die Herausforderungen gemeinsam lösen, dann entsteht zwangsläufig eine Veränderung. Weil es eben nicht die eine Kultur für Alle gibt, sondern Kultur mit allen gestaltet wird.
Diese Veränderung in Richtung kultureller Teilhabe-Gerechtigkeit braucht also Austausch mit- und untereinander, ein Miteinandersprechen und Herausfinden, warum manche Menschen am Tisch sitzen und mitbestimmen können und andere eben nicht. Und viele Gespräche darüber, wie der gemeinsame kulturelle Tisch aussehen kann.
Und diesen Austausch haben wir in unserem Forschungsprojekt angestrebt, in dem wir mit Menschen gesprochen und eben untersucht haben, was sie zur Kultur bringt oder sie von Kultur fernhält. Und die Veranstaltung Kultur mit wem? Tischgespräche zu Kultur und Teilhabe war die nächste Phase dieses Austausches. Sie bot die Möglichkeit, gemeinsam mit mehr als 100 Teilnehmenden am metaphorischen kulturellen Tisch Platz zu nehmen und auszuhandeln, was unsere kulturellen Lieblingsessen sind und wie wir sie gemeinsam zubereiten können.