von Margarethe Betz, Laura Willing, Leonie Seeger, Hendrik Breuer
Wie jede neue Technologie wirft die CRISPR-Cas9-Technologie verschiedene ethische, rechtliche und gesellschaftliche Bedenken auf. Wie vermeiden wir, dass die CRISPR-Cas9-Technologie ungleiche Zugangsmöglichkeiten zu gesundheitlichen Vorteilen schafft und dass alle Menschen, unabhängig von ihrer finanziellen Lage oder Zugehörigkeit zu bestimmten Gruppen oder Nationen, Zugang zu dieser Technologie haben? Wie stellen wir sicher, dass diese Technologie der Verbesserung der menschlichen Gesundheit dient und nicht nur der Gewinnmaximierung von Unternehmen? Welche Auswirkungen hat der Eingriff in das menschliche Genom auf sozialer und gesellschaftlicher Ebene und wie kann die Integrität verschiedener Bevölkerungsgruppen geschützt werden? Wie können wir sicherstellen, dass die Anwendung ethisch und demokratisch verantwortungsbewusst ist?
Die kritische Auseinandersetzung mit den potentiellen Folgen der Keimbahnforschung und Keimbahnintervention kann im Rahmen eines öffentlichen Deliberationsprozess geschehen. Im folgenden Artikel werden wir uns der Frage widmen, wie so ein öffentlicher Deliberationsprozess um die Regulierung von humaner Genomeditierung gestaltet sein sollte. Falls ihr euch fragt, was man unter Genomeditierung oder Keimbahnintervention versteht, dann schaut gerne hier vorbei.
Unter einem “Deliberationsprozess” versteht man den Austausch von Pro- und Kontra- Argumenten mit dem Ziel, anhand dieser Argumente die bestmögliche Lösung für eine bestimmte Problematik zu finden. Bei einem öffentlichen Deliberationsprozess geschieht dies nicht nur unter Einbezug von Politiker*innen und wissenschaftlichen Expert*innen. Die Meinung der Allgemeinbevölkerung ist hier auch gefragt.
Warum ein öffentlicher Deliberationsprozess?
Um uns der Frage widmen zu können, wie so ein Prozess gestaltet sein sollte, muss zunächst geklärt werden, warum ein öffentlicher Deliberationsprozess in Bezug auf Keimbahninterventionen überhaupt so wichtig ist. Eine Beteiligung der Bürger*innen bei einem Deliberationsprozess bringt viele Vorteile mit sich. Zum einen führt der Einbezug der Öffentlichkeit in solche Prozesse dazu, dass in der Bevölkerung ein besseres Verständnis für politische und wissenschaftliche Entscheidungen entsteht. Dadurch wird ein stärkeres Vertrauen und stärkere Akzeptanz in die Politik, politische Entscheidungsprozesse und die Wissenschaft geschaffen. Durch öffentliche Deliberationsprozesse können auch Gruppen, die bisher schwer zu beteiligen waren, erreicht werden und Perspektiven, die bisher wenig beachtet wurden, zukünftig in Entscheidungsprozessen berücksichtigt werden. Es können außerdem Sorgen und Bedürfnisse der Allgemeinbevölkerung identifiziert und bessere politische Entscheidungen getroffen werden.
Gerade für den Deliberationsprozess um Keimbahnintervention ist die Bürger*innenbeteiligung besonders wichtig. Politische Entscheidungen, die Keimbahninterventionen betreffen, sollten nicht nur von einer kleinen Expert*innengruppe getroffen werden. Die Konsequenzen solcher politischen Entscheidungen werden weitreichende Konsequenzen für die gesamte gegenwärtige und zukünftige Bevölkerung haben. Daher ist es wichtig, möglichst viele verschiedene Perspektiven in die Entscheidung miteinzubeziehen. Nur so lassen sich alle potentiellen ökonomischen, kulturellen, sozialen und ethischen Konsequenzen verschiedener politischer Entscheidungen identifizieren.
Das Bürgerpanel – Ein guter Weg, jede*n zu befragen?
Nachdem wir über Deliberationsprozesse und deren Vorteile gesprochen haben, ist es nun wichtig, anhand von zwei Beispielen aufzuzeigen, wie solche Prozesse aussehen und ablaufen können. Aus dutzenden verschiedenen Beispielen für Deliberationsprozesse gibt es zwei, die bei unseren Recherchen besonders ins Auge fielen. Als erstes Beispiel gibt es das sogenannte Bürgerpanel, welches wir im Nachhinein als nicht sonderlich guten Weg des Deliberationsprozesses empfunden haben.
Ein Bürgerpanel ist eine regelmäßige Befragung von repräsentativ ausgewählten Bürgerinnen und Bürgern (500-2500), um ihre Meinung zu aktuellen Entscheidungsfragen zu erfahren. Es werden feste Teilnehmende ausgewählt und es kann auch nachbestückt werden, um ein breiteres Spektrum zu erreichen. Bürgerpanels können von Politiker*innen und anderen Interessierten in Auftrag gegeben. Es gibt auch den Effekt, dass unter den Teilnehmenden die Rekrutierung für weitere Verfahren meist höher ist.
Die Ergebnisse dieser weiteren Befragungsrunden werden dann erneut in die regelmäßigen Befragungen eingefügt. Somit kommt es zu einem kontinuierlichen Veränderungsprozess. Bürgerpanels sind gut dafür geeignet, die Meinung einer Großzahl von Bürger*innen zu aktuellen Entscheidungsfragen einzuholen und in manchen Fällen sogar weitere Teilnehmer*innen für andere deliberative Beteiligungsverfahren zu gewinnen.
Es gibt jedoch einige Faktoren, weshalb ein Bürgerpanel für eine Diskussion über Genome Editing weniger geeignet ist: Beim Bürgerpanel wird die Informiertheit der Bürger*innen nicht berücksichtigt. Da keine Aufklärung durch Expert*innen und kein Meinungsaustausch stattfindet, können die Beteiligten keinen wohlinformierten Standpunkt ausbilden.
Deliberative Polling – Infomesse für alle?
Insgesamt können Bürgerpanels zwar einen wertvollen Beitrag zur Diskussion über Genom-Editierung in der Gesellschaft leisten, sie sind jedoch bspw. aufgrund der fehlenden strukturierten Beratung und dem fehlenden Input von Expert*innen nicht so gut geeignet. Ein besseres Beispiel ist hier das Deliberative Polling.
Es handelt sich um eine Befragungsmethode, bei der in zwei zeitlich voneinander getrennten Phasen, Meinungen der beteiligten Bürger*innen abgefragt werden. Zwischen dieser Befragungsphase findet eine umfangreiche Informationsvermittlung statt. Nach der ersten Befragung bekommen die Teilnehmer*innen die Möglichkeit, ihr Wissen über das jeweilige Thema, hier in unserem Fall die Keimbahnintervention, zu vertiefen und darüber zu beraten. Dafür werden im Rahmen einer zwei- bis dreitägigen Veranstaltung in mehreren Kleingruppen Diskussionen, sowie Plenarsitzungen durchgeführt. Die Teilnehmer*innen erhalten für ihre Mitwirkung eine Aufwandsentschädigung.
Nach der Informationsphase folgt die zweite Befragung. Hier wird dieselbe Frage wie am Anfang gestellt. Ein verändertes Antwortverhältnis verdeutlicht, wie sich Informationsvermittlung und Diskussion auf das Wissen und die Meinungen der Teilnehmer*innen auswirken kann. Des Weiteren wird empfohlen, die Informationsphase in lokalen Radio- oder TV-Sendungen zu übertragen, um einen breiten Anteil der Öffentlichkeit und Gesellschaft miteinzubeziehen, da bei dem Deliberative Polling max. zwischen 300 und 500 Personen teilnehmen können.
Es gibt allerdings auch offene Fragen, die das Deliberative Polling betreffen: Wer finanziert die Veranstaltung (mit Blick auf Anreise, Ort, Arbeitsaufwand etc.)? Wo soll diese stattfinden? Welche Personen werden als Teilnehmer*innen eingeladen? Wer übermittelt die wichtigen Informationen? Und wenn diese Prozesse auf internationaler Ebene stattfinden sollen, wie können Sprachbarrieren überbrückt werden? Diese und noch weitere Fragen kommen auf, wenn man sich mit Deliberative Polling auseinandersetzt. Sobald diese Fragen aber geklärt werden können und solche Veranstaltungen durchdacht stattfinden können, ist Deliberative Polling eine gute Maßnahme, die Gesellschaft in ein solch komplexes Thema, wie Keimbahninterventionen, mit einzubeziehen.
Stellt man Deliberative Polling und das Bürgerpanel gegenüber, fällt sofort auf, dass eine deliberative Befragung die bessere Wahl für einen Deliberationsprozess, im Bezug auf die Keimbahnintervention, darstellt. Das Deliberative Polling bietet Struktur, Repräsentation und die nötige Sachkunde für eine umfangreiche Diskussion über Keimbahninterventionen.
Das zuversichtliche deliberative Verfahren
Idealerweise sollten deliberative Verfahren klar strukturiert sein. Die Teilnehmenden sollten zufällig ausgewählt sein, aber gleichzeitig auch Repräsentant*innen aller relevanten Interessensgruppen beinhalten. Genauso sollten wissenschaftliche Expert*innen an Deliberationsprozessen beteiligt und für den anschließenden Austausch von Meinungen außerhalb der Panels zur Verfügung stehen. Vor allem sollten deliberative Verfahren zur Keimbahnintervention möglichst transnational organisiert sein, da Keimbahninterventionen alle Menschen betreffen. Nur so kann ein erfolgreicher Deliberationsprozess geführt werden.