He Jiankui – wissenschaftlicher Messias oder ruhmsüchtiger Idealist?

von Melissa Bertram, Verena Nobel, Hendrik Breuer, Max Kempen und Luca Müller

© Hendrik Breuer

Ein wissenschaftliches Experiment gerät ungeplant an die Öffentlichkeit: Zwei Babys werden geboren und kurze Zeit später wird der chinesische Wissenschaftler He Jiankui zu drei Jahren Haft verurteilt. Doch wer ist dieser Mann und wie kam es dazu, dass der einst so vielversprechende Forscher, der von seinem Doktorvater Michael Deem als “high impact student” bezeichnet wurde, 2019 von einem chinesischen Gericht zu einer Freiheitsstrafe verurteilt wurde? Diese Fragen wollen wir euch in diesem Beitrag beantworten.

Quereinstieg mit Tatendrang
He Jiankui studierte Physik in den USA und machte 2010 seinen PhD an der Rice University in Texas. Danach arbeitete er als Post Doc an der Stanford University. 2012 ging er im Rahmen des „Thousand Talents Program“, initiiert von der chinesischen Regierung, zurück nach China und nahm eine Professur an der Southern University of Science and Technology an. Auch von staatlicher Seite erhoffte man sich von He Jiankui also bereits zu Beginn seiner Karriere viel. Gegen 2016 begann He mit der Forschung zu geneditierten Embryonen. Außergewöhnlich für jemanden in diesem Forschungsfeld ist sein Quereinstieg – sein Hintergrund mit der Physik ist auf einem anderen Gebiet. Entsprechend fand er auf Fachkonferenzen zu Genomeditierung wenig Beachtung. Dies hielt ihn aber nicht davon ab, einen weiteren waghalsigen Schritt in seiner Forschung zu machen.

So ein Experiment gab es weltweit noch nie
In der Tat schien die Arbeit an Embryonen He nicht auszureichen. So wollte er sich mit der Idee profilieren, den menschlichen DNS-Code so zu modifizieren, dass ein Mensch geboren werden kann, welcher gegen das gefährliche HI-Virus immun ist. Hierfür suchte er Paare, bei denen der Vater HIV-positiv war und die Mutter nicht. Mit seinem Experiment verfolgte er zwei Ziele: Erstens die Weitergabe des HI-Virus vom Vater auf die Kinder zu verhindern und zweitens darüber hinaus eine Immunität gegen das gefährliche Virus zu erzeugen. Zu diesem Zeitpunkt gab es jedoch bereits andere Verfahren, wie das Sperm-Washing, die dies möglich machten. Einen Eingriff wie He ihn plante, hat es weltweit jedoch noch nie gegeben.

He wuchs in der Provinz Hunan in China auf. Dort war HIV in seiner Jugend ein großes Problem und er erlebte vermutlich oft, wie HIV erkrankte Menschen diskriminiert und gefürchtet wurden. Dieser Hintergrund erklärt vermutlich den Leichtsinn, mit dem He der Geneditierung in seiner Forschung nachging, mit dem Ziel Kinder HIV-resistent zu machen. So leitete er, kurz nach dem Beginn seiner Forschung an Embryonen, die ersten Schritte für sein Experiment im März 2017 ein.

Das “wissenschaftliche” Experiment
Worin besteht jedoch der Kern dieses Experiments? Kurz zusammengefasst ließ He bei Paaren mit Kinderwunsch eine künstliche Befruchtung (In-Vitro-Fertilisation) durchführen. Für diese werden der Frau befruchtungsfähige Eizellen entnommen und mit der Samenzelle des Partners befruchtet. Im Fall von Hes Experiment editierte er die Embryonen jedoch vor ihrer Einpflanzung mit der CRISPR/Cas9-Genschere.

Falls ihr euch nun fragt, wie CRISPR/Cas9 funktioniert, dann schaut gerne auf diesem Blogbeitrag vorbei – dort werden ihre Funktion, sowie Vor-und Nachteile ausführlich erklärt. An dieser Stelle lässt sich CRSIPR/Cas9 aber wie folgt beschreiben: Die menschliche DNS lässt sich in Sequenzen von Basenpaaren auslesen. Der CRISPR-Teil ist dafür verantwortlich, die Stelle in der DNS zu finden, in der geschnitten werden soll. Das Cas9-Protein führt diesen Schnitt aus. In seinem Experiment hat He versucht mit der CRISPR/Cas9-Genschere eine ganz bestimmte Mutation zu erzeugen. Diese Mutation tritt bei manchen Menschen in Nordeuropa natürlicherweise auf und sorgt dafür, dass sie immun gegen eine HIV-Infektion sind.

Die Mutation, die zur Immunität gegen HIV bei diesen Menschen führt, betrifft einen ganz bestimmten Abschnitt auf der menschlichen DNS – das CCR5-Gen. In den Basenpaaren des CCR5-Gens ist die Information für die Bildung eines Co-Rezeptors kodiert, dieser heißt entsprechend CCR5-Co-Rezeptor. Was hat dieser Co-Rezeptor nun mit HIV zu tun? Infiziert ein HI-Virus eine menschliche Zelle, so tut er dies sehr häufig über eben diesen CCR5-Co-Rezeptor. Wenn also die Mutation im CCR5-Gen dazu führt, dass der entsprechende Co-Rezeptor nicht richtig gebildet werden kann, fehlt dem HI-Virus sein Einfallstor in die Zelle und sie wird nicht von dem Virus infiziert.

Wie bereits erwähnt, gibt es manche Menschen, die natürlicherweise eine Mutation in ihrem CCR5-Gen haben – sie alle haben gemeinsam, dass ihnen in dem Gen 32 Basenpaare fehlen. Daher heißt die Mutation CCR5Delta32 (CCR5 Δ32). In seinem Experiment wollte He Jiankui mit der Genschere CRISPR/Cas9 genau diese Mutation erzeugen, indem er anstrebte, auf dem CCR5-Gen der Embryonen die entsprechenden 32 Basenpaare zu entfernen.

Das Problem mit He Jiankuis Experiment
Mit dem Experiment gehen allerdings viele Probleme einher. Eines der größten Probleme besteht zunächst darin, dass er sein Ziel gar nicht erst erreicht hat. Er hat zwar die CCR5-Gene der Zwillinge editiert, allerdings hat er bei keiner der Zwillingsschwestern die bekannte CCR5 Δ32-Mutation erzeugt. Welche Mutation er genau erschaffen hat, ist jedoch nicht nachvollziehbar, da er und sein Team die hierfür nötigen Informationen nicht veröffentlicht haben.

© Verena Nobel

Da er den Eingriff auf der Keimbahn-Ebene durchgeführt hat, hat er das Erbgut der Zwillinge soweit verändert, dass die Mutation der beiden auch an ihre Kinder weitervererbt wird. Da Veränderungen auf der Keimbahn immer mit der Weitervererbung an die Nachkommen einhergeht, werden Eingriffe dieser Art ethisch höchst kontrovers diskutiert. Mehr zur ethischen und rechtlichen Lage von Eingriffen in die menschliche Keimbahn findet ihr in diesem Blogbeitrag.

Um die Weitergabe des HI-Virus durch den Vater an die Zwillinge zu verhindern, gibt es jedoch Alternativen, die routinemäßig im Einsatz sind, wie z.B. das oben erwähnte Sperm-Washing. Hierbei werden die Samenzellen des Mannes so aufbereitet, dass die Vererbung des HI-Virus an die Nachkommen verhindert werden kann – ganz ohne in die Keimbahn einzugreifen.

Es gibt also viele medizinische Risiken, die mit dem Experiment von He Jiankui verbunden sind. Über diese rein medizinischen Probleme hinaus, hat He mit seinem Experiment gegen eine Reihe von institutionellen Rahmenbedingungen verstoßen. Hierzu gehören zum Beispiel auch Einwilligungserklärungen der teilnehmenden Probanden, welche den Ablauf des Experiments erklären sollen und über Risiken aufklären sollen. Die Einwilligungserklärung, welche er seinen Probanden gab, vermittelte jedoch eine viel zu technische und darüber hinaus mangelhafte Darstellung seiner Methoden und deren Alternativen.

Sicherlich war er sich der kontroversen Sicht auf sein Experiment bewusst, denn er versuchte eine institutionelle Aufsicht dadurch zu vermeiden, dass er seine eigenen finanziellen Mittel für sein Experiment aufgebracht hat.
Erst durch einen Leak erfuhren seine Forschungskolleg*innen und die Öffentlichkeit von seinem Experiment. Ein eher ungewöhnlicher Weg, wenn man betrachtet, wie Forschungsergebnisse sonst kommuniziert werden – über Artikel in Fachzeitschriften. Um die wissenschaftliche Qualität der Artikel sicherzustellen, durchlaufen diese den sogenannten Peer-Review-Prozess. In diesem Vorgang werden Forschungsergebnisse von Expert*innen zunächst anonymisiert analysiert und diskutiert. Das Ziel dabei ist, die Forschung zu verbessern und auf mögliche Probleme aufmerksam zu machen.

Auch He Jiankui waren diese Methoden sicher nicht fremd. Er entschied sich jedoch, diese zu ignorieren, sodass wir bis heute sehr wenige Anhaltspunkte haben, um uns ein Bild von dem Experiment und den Folgen machen zu können.

Einer dieser wenigen Anhaltspunkte sind die von ihm veröffentlichten Videos auf der kommerziellen Plattform YouTube. In diesen fünf kurzen Videos versucht He seine Forschung zu erklären. Viele erfahrene Wissenschaftler*innen wie Jennifer Doudna, die Entdeckerin der CRISPR/Cas9-Genschere, lehnen dieses Vorgehen aber ab und verurteilen das Experiment. Trotz der Bestätigung über die Durchführung des Experiments konnte der Erfolg des Versuchs jedoch bis heute nicht bestätigt werden. Umso mehr sollte man sich daher auch fragen, wie man mit solchen “rogue scientists” umgehen soll, auch wenn in diesem Fall die Absichten vielleicht gutmütig waren.

© Hendrik Breuer
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