Machbarkeitswahn vs. Gewissen – ein ethischer Ausblick auf die Zukunft des Genome-Editing

von Louisa Becker, Philipp Kann, Ryo Kuginuki, Lara Jelonek, Lena Borchardt

Mithilfe der CRISPR/Cas9-Genschere ist der Wissenschaft nicht nur ein Durchbruch innerhalb des Forschungsbereiches gelungen, im Zuge des Skandals um das Experiment von He Jiankui wurden auch die Gefahren eines vorschnellen Einsatzes der Geschere deutlich. Aus dem Experiment gingen die ersten Babys hervor, deren Keimbahn editiert wurde. Das heißt, dass die genetischen Veränderungen nicht nur diese Babys betreffen, sondern darüber hinaus von ihnen vererbt werden können. Eingriffe in die Keimbahn werfen eine Reihe von gesellschaftlichen, rechtlichen und ethischen Fragen auf. Eingriffe in die Keimbahn wecken aber auch Hoffnungen bei all denjenigen, die aufgrund von genetisch bedingten Erkrankungen einem hohen Leidensdruck ausgesetzt sind. Hoffnung darauf, diese Krankheiten nicht an ihre Kinder zu vererben.

In diesem Beitrag möchten wir euch einen Überblick über die internationale Rechtslage zu Keimbahneingriffen geben sowie einen Blick in die Zukunft wagen.

Andere Länder, andere Sitten – Rechtlicher Rahmen
Aus den im CRISPR-Magazin veröffentlichten Zahlen zur Rechtslage bezüglich hereditärer, also vererbbarer, Genom-Editierungen geht hervor, dass diese weltweit in 106 Staaten verboten sind, darunter auch Deutschland. Eine einheitliche internationale Regelung gibt es jedoch nicht.

Abb.: Internationale Gesetzeslage zu Eingriffen in die menschliche Keimbahn (Baylis et al. 2020, S. 372)

In einigen Ländern gibt es aber gesetzliche Ausnahmen, wie zum Beispiel in Kolumbien, wenn das Leid des Individuums gemindert oder der Einsatz zu therapeutischen Zwecken vorgenommen wird. Aufgrund des wachsenden internationalen Interesses an der Debatte um Eingriffe in die menschliche Keimbahn haben einige zuständige Institutionen des Fachgebiets bereits Empfehlungen ausgesprochen, welche dazu beitragen sollen, einen öffentlichen Raum für einen Diskurs zu schaffen. Sie formulieren Voraussetzungen, die die Genehmigung von klinischen Studien bedingen.

Die Dachorganisation der US-amerikanischen Wissenschaftsakademien „US National Academics“ beispielsweise stellt folgende Bedingungen: Die Eingriffe sollen auf potenziell gesundheitsschädliche Gene beschränkt werden, um die Gesundheit des Individuums zu verbessern. Außerdem fordern sie, eine Kontrollinstanz zu etablieren, um durchgehende Sicherheit bei Eingriffen zu gewähren.

Der englischen gemeinnützigen Organisation, bestehend aus Expert*innen zu bioethischen Fragen, „Nuffield Council on Bioethics“ zufolge können solche Eingriffe hingegen nur dann legitim sein, wenn die Gesundheit der Person gewahrt werden kann und besagte Eingriffe im Einklang mit Prinzipien sozialer Gerechtigkeit sowie Solidarität stehen, um gesellschaftliche Spaltungen oder Benachteiligungen zu verhindern.

Ist Ethik willkommen in der Forschung?
In Deutschland spielt insbesondere der Deutsche Ethikrat bei der Frage nach einer moralischen Beurteilung eine große Rolle. Er ist eine unabhängige Institution und besteht aus 26 Mitgliedern, die sich aus Wissenschaftler*innen sowie anderweitig in ethischen Fragen bewanderten Expert*innen zusammensetzen. Alle vier bis acht Jahre werden neue Expert*innen berufen, sodass es einen ständigen Wechsel von Perspektiven gibt. Der Rat ist an das 2007 in Kraft getretene Ethikratgesetz gebunden, demzufolge er im Auftrag der Bundesregierung beziehungsweise im Speziellen des / der Bundestagspräsidenten*in handelt und daher jährlich Bericht erstatten muss.

Die Aufgabe des Ethikrates ist es, durch Empfehlungen und Stellungnahmen eine Orientierung für Gesellschaft und Politik zu geben. Dabei beschränkt er sich nicht nur auf ein Fachgebiet, sondern behandelt verschiedene aktuelle Thematiken, beispielsweise aus den Bereichen Naturwissenschaft, Recht, Medizin und Wirtschaft.

Daher ist der Ethikrat auch bei der ethischen Bewertung von Eingriffen in die menschliche Keimbahn ein wichtiger Diskursteilnehmer und Ansprechpartner. Seine Empfehlungen sind in diesem Fall besonders relevant, weil sie nach dem Bekanntwerden des Experiments von He Jiankui abgegeben wurden und sich nicht auf klinische Studien allein beschränken, sondern entlang des Forschungsprozesses – von präklinischen Studien bis hin zur klinischen Anwendung – moralische Probleme aufzeigen. Speziell gibt es sieben Feststellungen, über die Konsens herrscht. Wir schauen uns nun an, was genau sich hinter ihnen verbirgt.

Erstens gäbe es ethisch betrachtet keinen Anlass für ein grundsätzliches Verbot von Eingriffen in die menschliche Keimbahn. Allerdings, so der zweite Punkt, müssten in jedem Fall hinreichende Sicherheit und Wirksamkeit gewährleistet sein.

Drittens wird genannt, dass die ethische Bewertung von Keimbahneingriffen nicht nur durch eine Kosten-Nutzen-Abwägung begründet werden könne. Stattdessen müssten unterschiedliche ethische Kriterien berücksichtigt werden, beispielsweise Gerechtigkeitsaspekte, Freiheitsansprüche und die Vorbeugung genetischer Schäden.

Viertens wird in die Einrichtung eines sogenannten Moratoriums empfohlen. Das ist ein gesetzlich vorgeschriebener Aufschub. Damit verbunden ist ein sogenanntes „Anwendungs-Moratorium”, womit der zeitliche Aufschub der tatsächlichen Praxis gemeint ist, bis die Methode ausreichend erforscht und sicher durchgeführt werden kann sowie ein Konsens in der öffentlichen Diskussion herrscht.

Im fünften Punkt wird beschrieben, unter welchen Laborbedingungen klinische Studien stattfinden sollen, beziehungsweise welche Untersuchungsobjekte es geben soll. Hier wird empfohlen, dass an Embryonen im in vitro-Status, also „im Glas“, sowie an anderen prä-embryonalen Modellen geforscht werden solle.

In Punkt sechs empfiehlt der Deutsche Ethikrat das Einrichten einer internationalen Institution, die die globale Forschung beobachtet. Dabei solle sie vor allem auf politische, rechtliche und ethische Gesichtspunkte achten und so die Interessen der Gesellschaft wahren.

Siebtens sollen schließlich Mechanismen etabliert werden, die den gesellschaftlichen Diskurs fördern. Dabei geht es vor allem um Wissenschaftskommunikation, damit eine höchst wissenschaftliche Fachdiskussion der breiten Gesellschaft nahegebracht werden kann. So soll unter anderem die gesellschaftliche Mitbestimmung an Forschung gesteigert werden.

Diese allgemeinen Richtlinien werden von der Forschungsgemeinschaft einvernehmlich akzeptiert. Bezüglich einzelner Forschungsprojekte herrscht allerdings teilweise noch Unstimmigkeit, ob sie als ethisch akzeptabel eingestuft werden sollten. Auch wenn kein ethisches Verbot für den Eingriff in die menschliche Keimbahn ausgesprochen wird, folgt daraus nicht zwingend, dass die Forschung weiterhin verfolgt werden sollte. Für ein allgemeines Verbot spielen allerdings nicht nur ethische, sondern beispielsweise auch rechtliche Faktoren eine Rolle. Der Deutsche Ethikrat stellt die Debatte in seinem Empfehlungsschreiben daher sehr transparent dar. Außerdem veranschaulicht er die verschiedenen Möglichkeiten, über dieses Thema nachzudenken, in einem Baumdiagramm.

Ein paar Worte zum Schluss
Allgemein lässt sich festhalten, dass Genome Editing ein höchst aktuelles Thema ist und einen großen Diskurs um ethische und gesellschaftliche Fragen aufgeworfen hat. Auch in der medialen Berichterstattung setzt man sich mit diesen Fragen auseinander. So gibt es bereits zahlreiche Podcasts und YouTube-Videos, in denen naturwissenschaftliche Hintergründe sowie Chancen und Risiken von Eingriffen in die Keimbahn zugänglich dargestellt werden.

Allerdings entfernen sich einige Medienhäuser auch etwas von der Realität des Forschungsstandes. Obwohl der Begriff „Designerbabys“ auch in der wissenschaftlichen Debatte verwendet wird, gibt es immer wieder Artikel, die eher einer sensationellen Sci-Fi-Fantasie als einer verantwortungsvollen Berichterstattung gleichen. Ob die Beiträge nun reißerisch erscheinen oder nicht – die Debatte um Eingriffe in die menschliche Keimbahn wird dadurch angeregt und kann eventuell wichtige Erkenntnisse bezüglich ethischer, rechtlicher und gesellschaftlicher Fragen generieren.

Die Positionierung des Deutschen Ethikrates schafft zusätzlich Aufklärung und bietet die Möglichkeit, Eingriffe in die Keimbahn im Hinblick sowohl auf Chancen als auch ethische Bedenken zu betrachten. Trotzdem muss in der Wissenschaftskommunikation für noch mehr Transparenz gesorgt werden, damit klar ist, wessen Empfehlungen tatsächlich auf einer angemessenen Expertise gründen. Dafür müssen vor allem kommerzielle Interessenkonflikte der beteiligten Expert*innen der Öffentlichkeit zugänglicher gemacht werden. Ein transparenter Umgang mit kommerziellen Interessenkonflikten kann beispielsweise durch informierende Plattformen und mehr Kontextualisierung bei medialen Auftritten von Expert*innen erfolgen.

Ein grundsätzliches Ziel sollte sein, eine Bürger*innendebatte noch stärker anzuregen und Schauplätze wie zum Beispiel Bürger*innenkonferenzen zu bieten, damit Eingriffe in menschliche Keimzellen nicht nur aus wissenschaftlicher Perspektive, sondern auch innerhalb der Gesellschaft diskutiert werden (können).

Weitere Quellen:
„Human Germline and Heritable Genome Editing: The Global Policy Landscape“ (Baylis et al., The CRISPR Journal Volume 3, Number 5, 2020.)

Nuffield Council on Bioethics, Genome Editing and Human Reproduction, 2018.

„Valentines Day Report“ (National Academies of Sciences, Engineering, and Medicine et al., Human Genome Editing: Science, Ethics, and Governance, Washington, DC, 2017.)

„Genmanipulierte Kinder: Ist das bald normal?“ WDR Quarks 2018, https://www.quarks.de/gesundheit/medizin/genmanipulierte-babys-wird-das-bald-normal/

„Die Suche nach der Grenze: Kommt das Designerbaby?“ WDR Wissen 2017, https://www.daserste.de/information/wissen-kultur/w-wie-wissen/crispr-100.html

„Designerbabys: Dürfen wir Menschen für immer verändern?“ MDR 2019, https://www.mdr.de/wissen/mensch-alltag/designer-babys-duerfen-wir-kuenstliche-menschen-schaffen100.html

„Adressing Conflicts of Interest and Conflicts of Commitment in Public Advocacy and Policy Making on CRISPS/Cas-Based Human Genome Editing“ (Christian, Frontiers in Research Metrics and Analytics, 2022), https://doi.org/10.3389/frma.2022.775336

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